Beschäftigte zwischen New Work und Home-Schooling während der Corona-Pandemie

Eckdaten zur Studie:

Die ForscherInnen von TQS Research & Consulting gemeinsam mit TALK Online Panel haben die Meinung der ÖsterreicherInnen zur aktuellen Arbeitssituation und insbesondere den Themen „Home-Office“ und „Home-Schooling“ eingeholt. Insgesamt wurden 1.007 repräsentativ ausgewählte ÖsterreicherInnen befragt: Alter zwischen 18 bis 65 Jahren, in der Zeit nach Ostern von 17.-24. April 2020, Online-Befragung/CAWI Panel.

Die Corona-Krise sorgt für disruptive Veränderungen in unserer Gesellschaft und Wirtschaft. Der Begriff „disruptiv“ bedeutet etwas Bestehendes auflösend oder zerstörend – keine wünschenswerte Angelegenheit würde man meinen:

  • Zwei Drittel der befragten ÖsterreicherInnen meinen, die Corona-Pandemie wird unsere Gesellschaft sehr bis eher stark verändern und zwei Drittel sehen diesen Umstand sehr bis eher positiv.
  • 91 % der Befragten sehen sich als „MusterschülerInnen“ bei der Befolgung der auch als restriktiv wahrgenommenen Maßnahmen der Bundesregierung („Ich halte mich ausnahmslos an die Regeln“!) und 77 % sind der Meinung: die Corona-Pandemie trägt zu einem positiven Wandel bei (z. B. Klimawandel, CO2-Ausstoß, Digitalisierung).

Sind die ÖsterreicherInnen so masochistisch veranlagt oder unterschätzen wir die Entwicklungs- und Veränderungsbereitschaft der Menschen und erst eine Krise in diesem Ausmaß von persönlichem Leid, Krankheit und wirtschaftlicher Existenzvernichtung eröffnet Chancen auf Veränderung?

Der Preis ist hoch, bei disruptiven Veränderungen erfolgt nach der Zerstörung eine Ablöse und Neues sowie vielleicht Besseres kann folgen: ArchitektInnen hätten keine CAD-Systeme für die Planung und würden noch mit der Hand zeichnen, wir würden Wählscheibentelefone mit Ganzen- und Viertelanschlüssen haben und keine Smartphones und wir verzichten auf die Bequemlichkeit beim Greissler an der Theke zu bestellen und schieben lieber selber den Einkaufswagen durch den Laden und scannen sogar die Waren an der Kassa selbst.

Wir haben uns in der Studie angesehen, ob bei all den unbestrittenen Nachteilen der Corona-Krise, nicht auch Platz für neue Entwicklungen geschaffen wurde und sind der Spur nachgegangen, warum die ÖsterreicherInnen manche Neuerungen sogar sehr gut finden und behalten wollen.

Nachdem wir im ersten Teil unserer Studie das KonsumentInnenverhalten beleuchtet haben (PA vom 27.4.2020), steht jetzt der Blick durchs Schlüsselloch in die Haushalte der ÖsterreicherInnen bevor. Wir haben 1.000 ÖsterreicherInnen befragt, was sich bei Ihnen in den vier Wänden verändert hat und haben interessante Einblicke zu den Themen „Home-Office“ und „Home-Schooling“ bekommen. Hier die wichtigsten Ergebnisse der disruptiven Veränderungen:

„Massive Änderung der Arbeitssituation für viele ÖsterreicherInnen: Ein Viertel der ÖsterreicherInnen arbeitet von zu Hause aus! Rund ein Fünftel in Kurzarbeit!“

  • 24 % der befragten ÖsterreicherInnen arbeiten seit dem Lockdown von zu Hause aus und 18 % sind zudem von Kurzarbeit betroffen. Rund 39 % der nun im Home-Office Tätigen hatten bereits vorher häufig oder manchmal im Home-Office gearbeitet, davon signifikant häufiger Männer und Führungskräfte.
  • 41 % der seit der Krise im Home-Office Beschäftigten haben jedoch bislang keine Erfahrung gemacht, wie es ist, von zu Hause aus zu arbeiten.
  • Ein Viertel der im Home-Office Tätigen ist in einer Führungsposition.

„Die Krise hat dem Thema „Flexible Arbeit/New Work“ im Personalmanagement ähnlich wie der Digitalisierung in der Wirtschaft zum Durchbruch verholfen. Trotz des abrupten Kaltstarts ins Home-Office am 15.3. funktioniert das neue Arbeitsmodell hervorragend. Beschäftigte berichten überwiegend von guten Arbeitsbedingungen und ausreichenden Kommunikationsmöglichkeiten.“

  • 92 % der Beschäftigten im Home-Office sind der Meinung, dass die Möglichkeiten mit KollegInnen und Führungskräften zu kommunizieren ausreichend gegeben sind.
  • Die Notwendigkeit sich mit KollegInnen abzustimmen wird von 82 % eher bis sehr gut beurteilt, wenngleich hier 18 % vermehrten Bedarf sehen.
  • Feedbackmöglichkeiten sind aus Sicht der Beschäftigten im Home-Office ebenso ausreichend (86 %) vorhanden.
  • 85 % nutzen nun vermehrt virtuelle Kommunikationsmöglichkeiten, wobei dieser Anteil in großen Unternehmen noch höher ist. Die digitale Infrastruktur ist für über 80 % zufriedenstellend.
  • 8 von 10 Beschäftigten im Home-Office können sich die Arbeitszeit frei einteilen und haben klare Vorgaben hinsichtlich der Arbeitsaufgaben.

„Home-Office und Familienleben können gut miteinander verknüpft werden. Die Produktivität ist für viele im Home-Office höher.“

  • 86 % meinen, dass sie Familien- und Berufsleben im Home-Office gut miteinander verknüpfen können. Einem Drittel fällt es jedoch schwer, aufgrund von Ablenkungen konzentriert zu arbeiten. Nicht überraschend urteilen hier Beschäftigte mit Kindern im Haushalt kritischer. Für Beschäftigte stellt es eine immense Doppelbelastung dar, wenn Kinder im Schulalter derzeit Home-Schooling haben und betreut werden müssen.
  • Dennoch sind 59 % der Home-Office Beschäftigten der Meinung, dass ihre Produktivität im Home-Office höher als im Unternehmen ist (!).

„Würden die MitarbeiterInnen künftig lieber zu Hause weiterarbeiten? Welche Folgen hätte vermehrte Home-Office-Tätigkeit auf die Unternehmen und andere Branchen?“

  • 29 % macht die Arbeit von zu Hause aus weniger Spaß als im Unternehmen selbst. Woran kann dies liegen? Auf die Frage, was die ÖsterreicherInnen im Lockdown am meisten vermissen geben 39 % die Sozialkontakte und FreundInnen an; für viele fallen darunter sicher auch die täglichen Sozialkontakte am Arbeitsplatz. Explizit nennen 5 % der ÖsterreicherInnen, dass sie ihre ArbeitskollegInnen am meisten vermissen.
  • Nichtsdestotrotz möchten 7 von 10 Beschäftigten, die jetzt im Home-Office tätig sind, diese Möglichkeit künftig auch verstärkt nutzen.

Geht eine höhere Produktivität mit der Tätigkeit im Home-Office einher, wie aus Sicht der MitarbeiterInnen angeführt, so sollte aus Unternehmenssicht nichts gegen die Möglichkeit sprechen, Home-Office auch in Zukunft verstärkt zuzulassen bzw. anzubieten. Das bedeutet auch Flexibilisierung der Arbeit, was heute schon für viele Beschäftigte und Arbeitsuchende ein Kriterium für einen „attraktiven Arbeitgeber“ (Employer Branding) ist.

Die Ausgangsbeschränkungen der Corona-Pandemie bzw. die Empfehlung der Regierung den MitarbeiterInnen Home-Office anzubieten – häufig verbunden mit freier Zeiteinteilung – hat demnach zu einer sehr raschen Umsetzung der zentralen Konzepte von „Flexibler Arbeit“ bzw. „New Work“ beigetragen, wie sie die Arbeits- und Organisationspsychologie seit Jahren empfiehlt und fordert.

„Ist die Immobilienwirtschaft der große Verlierer der Corona-Krise? Wer braucht noch einen Arbeitsplatz im Office, wenn wir besser und lieber von zuhause arbeiten?“

Längerfristig kann es vielleicht für die Immobilienwirtschaft und EigentümerInnen eng werden, denn wenn die ÖsterreicherInnen auch in Zukunft weniger den stationären Einzelhandel zum Shopping nützen wollen – oder aus finanziellen Gründen auch die Kaufkraft durch die Krise abnimmt und wenn wir in Zukunft vermehrt von zuhause arbeiten werden – wer braucht dann die große Zahl an Gewerbe- und Büroimmobilien und Erdgeschoßflächen, die unsere Städte und Einkaufsstraßen ausmachen?

„Welche Veränderungen bringt die Krise für den öffentlichen Verkehr und die Automobilbranche?“

Mit vermehrtem Home-Office ist auch ein geringerer Mobilitätsbedarf verbunden. Knapp über die Hälfte der ÖsterreicherInnen sehen einen geringeren Mobilitätsbedarf aufgrund der Maßnahmen während der Pandemie. Zusätzlich wird der öffentliche Verkehr von 57 % gemieden und eher der private PKW aufgrund des „social distancing“ und einer möglichen Ansteckungsgefahr genutzt.

Der Anteil der ÖsterreicherInnen, die ihren PKW tatsächlich aufgrund der Krise verkaufen müssen bzw. wollen ist mit 7 % (noch) sehr gering, dennoch spürt die Automobilbranche natürlich Umsatzeinbrüche aufgrund von weniger Neukäufen.

Zu den Themen „Flexible Arbeit“ und „New Work“ ist unsere Studie sicher erst eine Momentaufnahme und es ist zu früh hier eine abschließende Bewertung zu treffen. Es ist den Unternehmen aber anzuraten, die neuen flexiblen Arbeitswelten in den nächsten Monaten zu evaluieren: MitarbeiterInnen zu befragen und Feedbacksysteme für ein regelmäßiges Maßnahmencontrolling einzusetzen. Führungs- und Vorgesetztenverhalten in dieser neuen Situation zu überprüfen und weiterzuentwickeln.

„Vor der Krise war der „war of talents“ – der Wettbewerb, die besten Köpfe am Arbeitsmarkt zu bekommen oder im Unternehmen zu halten – auf einem Höhepunkt. Die Krise ist auch hier eine Nagelprobe für „Employer Branding“ – bin ich für bestehende und zukünftige MitarbeiterInnen ein attraktiver Arbeitgeber?“

In der Kundenzufriedenheitsforschung weiß man seit langem, dass sich Qualität nicht in Routine- sondern erst in Ausnahmesituationen zeigt. Dort geht dem Schönwetter-Management in der Regel die Luft aus, wenn etwas nicht mehr so läuft „wie immer“. Die Krise zeigt den MitarbeiterInnen, wer auf sie achtet und wo es nur Lippenbekenntnisse sind. Wie erleben die MitarbeiterInnen die Attraktivität ihres Arbeitgebers?

„Arbeitgeber erhalten gutes Zeugnis von Ihren MitarbeiterInnen im Rahmen des Lockdowns!“

  • 47 % der unselbstständig Beschäftigten geben an, dass ihr Arbeitgeber alles versucht, damit keine Nachteile für sie entstehen.
  • 44 % meinen, der Arbeitgeber kümmert sich eher gut, kann aber nicht für jede/n einzelne/n MitarbeiterIn eine gute Lösung in dieser Krise finden.
  • Nur 9 % der ArbeitnehmerInnen sind der Meinung, dass sich ihr Arbeitgeber eher nicht oder gar nicht um sie kümmert. Unterschiede nach Größe der Unternehmen bestehen hier nicht.
  • 86 % der MitarbeiterInnen, die in Kurzarbeit sind, sind gut informiert über die Regelungen und drei Viertel haben klare Vorgaben, was ihre Arbeitszeiten betrifft.

Dass beinahe alle KurzarbeiterInnen (98 %) sehr oder eher froh sind, nicht gekündigt worden zu sein, versteht sich von selbst.

„Unsere Lehrerinnen und Lehrer sind ebenfalls HeldInnen der Krise!“

Noch ein Thema, das sich in den vier Wänden abspielt und das wir mit unserer Studie „Wie denkt Österreich in der Corona-Krise“ an die Öffentlichkeit bringen wollen: Kann die Krise auch dem Image der Schule und den LehrerInnen zu neuer Anerkennung und größerer Wertschätzung verhelfen?

In den letzten Wochen ist immer von den „HeldInnen der Krise“ die Rede – wenige haben dabei spontan an die Lehrerinnen und Lehrer gedacht. Hier wartet die Studie mit einer Überraschung auf. Die Fallzahl ist zwar geringer als die Gesamtstichprobe der 1.000 befragten ÖsterreicherInnen, da nicht in jedem der befragten Haushalte Schülerinnen oder Schüler waren, sind die ersten Rückmeldungen bemerkenswert und würden die Chance eröffnen, Schule in einem neuen Licht dastehen zu lassen.

Dass Home-Office in Familien mit schulpflichtigen Kindern derzeit eine hohe Belastung für die Eltern darstellt, liegt auf der Hand. Wir haben die Eltern in unserer Stichprobe auch befragt, wie sie die Qualität des Home-Schoolings beurteilen.

LehrerInnen erhalten bereits vor Ende des Schulschlusses gute Noten während manche SchülerInnen den Hit von Falco aus dem Jahr 1982 zum Besten geben: „Keine Schule mehr …“

Die Beurteilung des Home-Schoolings oder Distanzunterrichts aus der Sicht der Eltern ist insgesamt (sehr) positiv:

  • Das Engagement der LehrerInnen wird sehr gelobt, insgesamt geben 82 % eine positive Bewertung ab. Auch die Erreichbarkeit und Kommunikation mit den Lehrkräften wird von 79 bzw. 77 % der Eltern sehr gut bis gut bewertet.
  • 29 % der Befragten kritisieren hingegen den Umfang der Aufgaben und Lehrinhalte für die Ausnahmesituation des Lockdowns. Bei mehreren Kindern im Home-Schooling und einer parallelen Home-Office-Tätigkeit sind dies Anforderungen, die zu einer starken Belastung in den Haushalten und hier insbesondere der Frauen werden können.
  • Kritikpunkt ist die technische Ausstattung, die von 28 % der Eltern bemängelt wird. Im Durchschnitt verfügen 73 % der Haushalte über ein Gerät (Laptop, PC oder Tablet; Smartphones nicht mitgezählt) pro Erwachsenem bzw. schulpflichtigem Kind. 2,4 % der Haushalte mit schulpflichtigen Kindern haben gar kein Gerät zur Verfügung. Je höher das Einkommen, desto mehr Geräte sind vorhanden. Demgegenüber steht jedoch auch die Kritik der Eltern, wo 29 % meinen, dass es um das Wissen und die Fähigkeiten im Umgang mit den technischen Möglichkeiten bei den Lehrkräften mangelt.
  • Auch die SchülerInnen sind durch die Corona-Krise in einer Ausnahmesituation und benötigen Unterstützung beim Home-Schooling. Ihre Motivation wird aus Elternsicht kritisch gesehen: Nur 14 % der Eltern beurteilen die Motivation ihrer Kinder als „sehr gut“, weitere 52 % als „eher gut“. Rund ein Drittel der Eltern von schulpflichtigen Kindern jedoch eher bis sehr schlecht.

Die Analyse zeigt weiter, dass die Ergebnisse des Home-Schoolings kritischer werden je älter die SchülerInnen sind bzw. je höher die Schulstufe ist. D. h. das Feedback der Eltern für Home-Schooling ist bei Kindern in der Volksschule positiver als in der Hauptschule/Unterstufe/neuen Mittelschule und noch kritischer für die Oberstufe! Mit einer Ausnahme: Die Motivation der SchülerInnen in der Oberstufe unterscheidet sich positiv von Volks- und Hauptschulen.

Aus unserer Sicht gilt also auch für das System „Schule“: Qualität wird erst in Ausnahmesituationen wahrgenommen. Die Corona-Krise ist mit Sicherheit nicht Routine und wenn man die vergleichsweise kurze Reaktionszeit in Betracht zieht – fast über Nacht wurde Präsenzlehre/-lernen in Distanzlehre und Home-Schooling übergeführt – so sind diese Ergebnisse aus unserer Sicht nach nur 6 Wochen anerkennenswert.

Das ist nicht die Absolution für ein manchmal zurecht heftig kritisiertes System, aber wie schnell unser Schulsystem und vor allem die LehrerInnen sich auf die neue Situation eingestellt haben, dass sie für manche sicher erstaunlich gute Bewertungen von den Eltern bekommen, sollte auch anerkannt werden.

Auch hier gilt: nur die laufend begleitende Evaluation macht sicher. Die Zukunft wird zeigen, ob die hier initiierten, disruptiven Veränderungen dem Schulsystem und der Schulpartnerschaft neue Chancen eröffnen.

Bei Interesse stellen wir Ihnen gerne die Studienergebnisse im Detail zur Verfügung. Anfragen unter: office@tqs.at

Pressemeldungen:

https://wien.orf.at/stories/3046867/

https://mobil.krone.at/2147462

https://oe3.orf.at/player/20200501/3MFTb/1588341558400

https://radiothek.orf.at/wie/20200501/WMNO/1588327193000?fbclid=IwAR0UQP7cs395JeZaBxCYYiMvg43s-1UG7yFzVC8rUNwPyqMM-NJ1xFz9Fh0

https://radiothek.orf.at/ooe/20200501/OLTO/1588316388000